„Man muss Großes wollen!“
Susanne Kujer
Referatsleitung Bildende Kunst Kulturamt Frankfurt am Main
In unserem kollektiven Gedächtnis gibt es Geschichten, die eine besondere mythische Kraft besitzen und auch über Jahrzehnte hinweg nichts von ihrer Faszination eingebüßt haben. Die Geschichte von Don Quijote, dem Ritter von der traurigen Gestalt, ist eine von ihnen. Das Anfang des 16. Jahrhundert entstandene Werk von Miguel de Cervantes bildet nun den Grundgedanken für ein interdisziplinäres Ausstellungsprojekt, bei dem internationale Kunstschaffende eingeladen sind, sich gemeinsam mit Frankfurter Künstlerinnen und Künstlern der Romanfigur als Parabel zu ihrer eigenen „Künstlerexistenz“ zu nähern und kreativ auseinanderzusetzen.
Sein Konzept, ihm bekannten und mit ihm befreundeten internationalen KünstlerInnen die Frage zu stellen, wie sie ihre gesellschaftliche und existentielle Rolle als Künstler definieren – gespiegelt in der Gestalt der literarischen Figur – , klang spannend. Auch dass mehrere Ausstellungsorte miteinbezogen werden sollten.
Don Quijote lebt in einer imaginären Scheinwelt. Er betet mit Dulcinea von Toboso eine adelige Dame an, die in Wirklichkeit weder adelig noch Dame ist. Und obwohl die Buchpassage nicht einmal zwei Seiten füllt, kennt jeder diesen Ausschnitt, in der die windbetriebenen Mühlen in der Fantasie des Don Quijote zu Riesen werden, vor denen er seine Herzdame beschützen muss. Hier ruft der selbsternannte Ritter: „Dort siehst du, […] wie dreißig Riesen oder noch etliche mehr zum Vorschein kommen; mit denen denke ich einen Kampf zu fechten und ihnen allen das Leben zu nehmen.“ Dann prescht Don Quijote zum Angriff voran. Allein gegen Windmühlen. Doch als der Wind dreht und die Mühlenflügel ihre Richtung ändern, zerbricht die Lanze und der mutige Ritter wird zu Boden geschleudert. Ein Drama, das weltweit zur Redewendung und zum Sinnbild wurde: als Kampf des Idealisten gegen die Lebenswirklichkeit.
Und so fragt dieses Ausstellungsprojekt nicht nur danach, ob Kunst die Lebenswirklichkeit der Menschen verändern kann, sondern auch danach, welche Persönlichkeiten sich hinter der Kunst verbergen. Steckt nicht in jedem Künstler ein Teil der Persönlichkeit Don Quijotes im täglichen Kampf gegen Windmühlen?
Die Ergebnisse dieses täglichen Kampfes eines Künstlers sind seine Kunstwerke: sie sind authentisch, sprechen Dinge an die jeden betreffen, mischen sich ein, sind Seismographen. Künstler spiegeln die Lebenswirklichkeit in vielen Fassetten. Künstler sind Einzelgänger und Einzelkämpfer im täglichen Ringen um ihr kreatives Tun. Vielleicht sind Künstler daher ein moderner Don Quijote? Das Repertoire immer größer. Ein Berufsleben reicht nicht, alles in sich aufzunehmen. Das prägt – mit Sicherheit.
Zu danken ist die Idee dem Frankfurter Künstler Ahmad Rafi, dem es gelungen ist, über sein Netzwerk das Projekt zu realisieren. Austragungsorte sind neben dem Frankfurter Kunstverein Familie Montez der Kunstverein Aschaffenburg, der mit seinem dreigeschossigen Haus ein geeigneter Ort für einige vor allem multimedial arbeitende Künstler darstellt sowie das „Instituto Cervantes“ in Frankfurt als spanischer Partner, das sich mit einer Ausstellung, Lesungen und Podiumsdiskussionen präsentiert. Weiterer Projektpartner ist in Bulgarien das Cultural NGO, Stara Zagora.
So widersprüchlich sich Don Quijote vs. die Künstler auch zeigen, für die Gesellschaft erfüllen sie eine große Aufgabe: In ihrem schöpferischen Arbeiten hinterlassen sie der Nachwelt Sinnbilder, die uns zum Nachdenken anregen und der Wahrheit ein Stückchen näher bringen. Ich wünsche dem Projekt den Erfolg und die Aufmerksamkeit, die es verdient hat.